raumentwicklung - Raumplanungsbüro Mag. Daniel Lenz

drucken ...

Lian und die Bienen

Lian und die Bienen - Buchcover
„Mein Schwarm ist im Sack!“, rief Shi und band den Sack zusammen. Wie bei Onkel Kang hatte auch Shi viele Bienen auf seinem Körper, wenngleich doch deutlich weniger. Er hängte den Sack an den Bienenstock und wandte sich Lian zu. Sofort flogen die Bienen von ihm weg und ließen sich außen auf dem Sack nieder. Shi prüfte mit einer Hand den Inhalt des Sackes, den Lian an dem roten Stock hielt, mit der anderen schwang er jetzt wieder den Räucherkessel.
„Die meisten sind drinnen, ein bisschen noch!“, rief er. „Du machst das sehr gut Lian!“
Lian war viel zu angespannt, um auf seine Schmeicheleien zu antworten. Voll konzentriert schaute sie darauf, dass möglichst wenige Bienen seitlich entkamen. Auf ihren Armen krabbelten bereits Dutzende Bienen, es kribbelte und wurde warm, ganz so wie Onkel Kang es beschrieben hatte.
„Jetzt sind sie drinnen, rief Shi, warte, ich übernehme nun den Sack!“ Er griff nach dem Sack und drehte ihn mit einer schnellen Bewegung einmal im Kreis um die eigene Achse. Schwupps, schon war er verschlossen.
Lian war etwas zurückgetreten und beobachtete Shi, wie er zuerst ihren Sack und dann seinen an jene lange Stange hängte, die zuvor Onkel Kang verwendet hatte.
„Fertig, wir können gehen, heute wird kein Stock mehr schwärmen“, sagte Shi zu Lian. Die beiden gingen hinunter zum Haus, wo Ning und Kang sie bereits erwarteten.
Lian hatte gedacht, dass Onkel Kang nun die beiden Schwärme in die neuen Stöcke geben würde, aber das erledigte alles Shi im Alleingang. Lian war sehr beeindruckt von seinem Können und mehr noch davon, dass er nicht einmal mit der Wimper zuckte, als ihn einige Bienen dabei stachen.
„Shi wird bald mein Nachfolger werden“, sagte Kang zu Lian. „Er kann schon fast alles, es fehlt ihm nur noch an Erfahrung! Er wird dich darin unterweisen, und ihr beide werdet von mir unterwiesen werden, wenn du das möchtest, Lian. Heute hast du bewiesen, dass du das Zeug zu einer guten Imkerin hast, im Sommer kannst du dann sechs Wochen hierbleiben, und wir werden dich darin ausbilden!“
Lian wusste, dass sie und Großvater Ning nur noch einen Tag auf Besuch bleiben konnten, Sonntagnachmittag mussten sie wieder nach Hause fahren, am Montag war wieder Schule. Am Freitag war sie ohnehin entschuldigt gewesen.
So verbrachte Lian den Vormittag des Sonntags mit Shi, sie besuchten die neuen Bienenstöcke, die Onkel Kang auf der anderen Seite des Baches aufgestellt hatte. Die Bienen hatten bereits emsig mit dem Bau der Waben begonnen und Shi zeigte Lian den Tanz der Bienen.
„Wahrscheinlich fliegen sie hinauf an den Waldrand, dort blühen jetzt viele Bäume und Sträucher“, sagte Shi. „Der Tanz zeigt, dass die Blüten mehr als 50 Meter entfernt sind!“
Sie gingen zum Waldrand hinauf, wo tatsächlich Hunderte Bienen die Blüten besuchten, die einen betörenden Duft verströmten.
„Wenn es bei euch keine Bienen gibt, dann gibt es wahrscheinlich auch keine solchen Bäume und Sträucher oder Blumen wie hier“, stellte Shi fest. „Hier, nimm ein paar Zweige und Ruten mit nach Hause, du brauchst sie nur in die Erde stecken, diese wachsen von alleine an, das geht sehr schnell!“ Er nahm sein Messer, schnitt von bestimmten Sträuchern einige Zweige und Ruten ab und gab sie Lian. „Im Sommer, wenn du wiederkommst, sammeln wir zusammen Samen von Bäumen und Blumen, die musst du dann an bestimmten Plätzen aussäen, ich sage dir dann, wo.“ Am frühen Nachmittag brachen Lian und Großvater Ning auf, um zurück zur Straße zu gehen. Shi begleitete sie wieder und trug die Geschenke, die beide von seiner Familie mitbekommen hatten. Es waren einige Gläser Honig, Bienenwachskerzen und getrocknete Bergkräuter für verschiedene Tees.
Onkel Kang hatte Lian noch etwas Besonderes mitgegeben: Es war ein Bilderbuch mit vielen Pflanzen, die Bienen besonders schätzten. Darin wurde beschrieben, wann diese Pflanzen blühten und reiften, auch wo sie besonders gerne wuchsen – und es stand ebenfalls geschrieben, wo sie nicht gerne wuchsen!
„Suche diese Bäume, Sträucher und Blumen unten im Tal, einige wirst du sicher finden, andere vielleicht nicht. Versuche, sie zu vermehren, aber achte dabei darauf, dass du sie an einem guten Platz pflanzt, dann werden sie gedeihen und sich vermehren.“
Shi hatte die Zweige und Ruten, die er für Lian abgeschnitten hatte, mit feuchten Tüchern umwickelt, damit sie frisch blieben. „Schneide unten ein kurzes Stück schräg ab, bevor du die Zweige in den Boden steckst“, schärfte er Lian ein. „Du solltest das noch heute, spätestens aber morgen machen!“
Lian nickte. Wenig später, nachdem die drei losgezogen waren, hatten sie die Haltestelle erreicht. Shi wartete noch, bis der Bus eintraf, diesmal war er pünktlich.
Lian winkte Shi zu, solange sie ihn sehen konnte, dann bog der Bus um die Kurve, sie versank nachdenklich und etwas traurig in ihrem Sitz. Während der gesamten Fahrt hatte sie kein einziges Wort gesprochen.